Handwerker

Etwas strich mir über das Gesicht und holte mich langsam aus dem Reich der Träume. "Mmmmmh....?" - fragte ich.
Jemand zwickte mir in die Nase. "Geh weg, Benno! - Mach' dir dein Hundefutter selber auf!"
Ich hörte ein tiefes, dröhnendes Kichern,welches definitiv nicht meinem Hund gehörte. Mir fiel plötzlich ein, daß mein Hund Benno vor über zehn Jahren gestorben war, und auch als er noch unter den Lebenden weilte, hatte er nur sehr, sehr selten gekichert. Es handelte sich also definitiv um einen falschen Alarm. Ich lächelte, die Augen immer noch geschlossen und drehte mich auf die andere Seite. Was auch immer man in der ersten Nacht in einem neuen Haus träumt, soll ja bekanntlich in Erfüllung gehen, und ich hatte noch einige dringende Erfüllungen zu träumen.
Wieder kniff mir jemand in die Nase.
"Wissense, mein Freund, Sie sollten sich in dieser Jahreszeit dringend wärmer kleiden. Außerdem weißman ja nie, wer plötzlich im Zimmer steht, nich' wahr?"
Ich öffnete vorsichtig die Augen. Drei ältere Männer mit jemanden dahinten in Arbeitskleidung standen breit grinsend in meinem Schlafzimmer.
"Firma Fenster Knäbel", erklärte der, der mich in die Nase gezwickt hatte. "Wir hätten Sie ja gerne schlafen lassen, aber wenn Sie so vor dem Fenster liegen, kommen wir da ganz schlecht ran. Außerdem lenkt das den weiblichen Lehrling ab, Sie wissen schon..."
"Wie kamen Sie denn rein?..", murmelte ich noch müde. Die Frage hätte ich mir sparen können, denn die Antwort war eindeutig. "Durch die Tür, lieber Freund, durch die Tür", schwafelt der nasenzwinkernde ältere Mann mit paa rkleinen Spucken mich an.
Ein schleimig-zweideutiges Blinzeln dieser Artist am frühen Morgen einfach zuviel, stellte ich fest. Ich wickelte mich in meine Decke, rieb mich kurz den Schlaf aus den Augen und schwang mich aus dem Bett.
"Dann werde ich mal Kaffee kochen gehen",erklärte ich, bemühe die Haltung zu bewahren und drängte mich zwischen den immer noch grinsenden Handwerkern vorbei.

"Is' noch welcher in der Kanne", wurde mir hinterher gerufen. "Wir war'n so frei..."
Na, die fühlen sich ja auch wie Zuhause, murmelte ich und stapfte in die Küche. Der Kaffee war nur noch lauwarm, aber dafür stark und während ich mein Frühstück einnahm, begann der Tag langsam in mein Bewußtsein zu sickern,.."...Das ist auch eine Art geweckt zu werden - drei Unbekannte mit nem weiblichen Lehrling in meinem Schlafzimmer anzutreffen", sagte ich halblaut zu mir selbst.
"Ich verstehe das", sagte der Küchentisch, "einmal hatte ich verschlafen, da haben sie dasselbe mit mir gemacht!"
Erschrocken sprang ich auf. Eine natürliche Gabe von mir.
"Drei Wochen habe ich gebraucht, um wieder ruhig einschlafen zu können!" - Unter dem Küchentisch krabbelte ein mitfühlender Klempner hervor, ein Stück meiner Wand unterdem Arm. "Aber wissen Sie: das Leben geht weiter!" - Aufmunternd klopfte er mir auf die Schulter und wandte sich zum Gehen. "Ich werde noch einige meiner Kollegen holen müssen. So einfach läßtsich Ihre Waschmaschine leider nicht anschließen. Sie sollten sich übrigens was überziehen - Sie holen sich bei diesem Wetter sonst noch den Tod!" Was geht es dem denn an, wie ich durch meine Wohnung rumlatsche?, schoß es mir durch den Kopf...aber ich war echt zu müde,und nen guten Schuß Adrenalin könnte ich so früh nicht gebrauchen.

Verwirrt verblieb ich in der Küche und überlegte, was der Klempner wohl anschließen wollte - meine Waschmaschine war immer noch bei nem Kumpel im Keller untergestellt. Na, kein Wunder, daß der Anschluß Probleme bereitete. Ich beschloß, die Decke, die ich immer noch um den Leib geschlungen hatte, durch anständige Kleidung zu ersetzen und machte mich auf, einige Sachen aus meinem Schrank zu holen.
Weit kam ich nicht, wäre auch zu schön gewesen. Eine Leiter versperrte mir den Weg. So weit ich das überblicken konnte, wurde ich von niemandem gehalten, zumindest niemandem in Sichtweite. Die Leiter reichte von der Haustür bis zur Terrassentür. Irgendjemand mußte mich natürlich halten - Leitern schweben schließlich nicht einfach in der Luft und zwischen den Presslufthammer-Geräuschen aus meinem Schlafzimmer hörte ich immer wieder die Schreie zweier Menschen, die einander Navigationsanweisungen an den Kopf warfen, die in der Praxis offensichtlich nicht ausführbar waren. Eine Stimme kam von der Terrasse, die andere aus dem Vordergarten.
"Dachdecker", vermutete ich.
Dachdecker tauchen manchmal einfach auf, decken etwas, und verschwinden wieder. Wenn sie irgendwo eine Baustelle entdeckt hatten, waren sie nicht mehr zu halten. Der Gedanke, daß mein Haus auf Handwerker schon die Anziehungskraft einer Großbaustelle hatte, zwang mich zur Eile. Ich krabbelte unter der Leiter durch, drängte in mein Schlafzimmer, schlug lang hin, weil jemand einen Sack Zement in den Weg gestellt hatte und landete weich in meine Wäsche. Die Herren von Fenster Knäbel hatten den Schrank umgekippt, um sich meine neue Designer-Deckenlampe etwas genauer anzusehen.
"Sie verstehen sicher - die Leiter scheinti m Flur steckengeblieben zu sein... - War die Lampe sehr teuer?"
"Sehr", stammelte ich, wohl wissend, daßdas gute Stück keine größeren Überlebenschancen hatte.
Ein Ende der Leiter, die eben noch im Flur steckte, kam aus Gründen, die nur in der Neogeographie zu finden sein dürften,hinter mir durch die Tür. Eine Stimme brüllte "Vorsicht!",die Handwerker duckten sich und die Leiter zerschlug die Lampe.
"Ein Jammer", meinte einer der Fenster Knäbel.
Tief durchatmen......nicht aufregen....tieeef durchatmen
Ich krabbelte mit meinen Sachen zurück in den Flur und wäre ins Bad gestürmt, wenn es nicht abgeschlossen wäre. Mit viel Schwung knallte ich gegen die Tür.
"Bin gleich soweit", erklang eine Stimme aus dem Bad.
Die Tür tat sich auf und ein weiterer Handwerker, mit dreckigen Gummistiefeln und mit was-weiß-ich-noch ausgerüstet, begrüßte mich. "Eine originelle Idee, eine so großeWanne installieren zu lassen", behauptete er. "Daß sie unbedingt mit Schlamm gefüllt sein soll, finde ich zwar etwas merkwürdig, aber ich vermute, daß der Vorname Kur zu sowas verpflichtet, nichtwahr, Herr Bad?"
Entsetzt betrachtete ich das neu installierte Moorbad, das jetzt meine ehemalige Naßzelle ausfüllte.
"Würden Sie mir glauben, wenn ich Ihnen sagte, daß mein Name nicht Kurbad ist, und sie sich eventuell in der Adresse geirrt haben", erklärte ich so ruhig, wie ich eben noch konnte.
Ich ließ den verwirrten Handwerker einfach stehen, und zog mich in die relative Ruhe meines neuen Moorbads zurück, um den Handwerker in Ruhe seine Papiere vergleichen zu lassen.
Nicht übel, so ein Moorbad, stellte ich fest, nur nicht gerade der ideale Platz, um mich in Ruhe anzuziehen. Trotzdem tat ich mein Bestes und kam nach einigen Minuten, nur leicht verschlammt, aber endlich angezogen, wieder aus dem Bad. Der Installateur stand immer noch vor der Tür und studierte angestrengt die Lieferpapiere.
Er bewegte die Lippen beim Lesen! - Ich verdrehte die Augen. Das erklärte einiges.
"Geben sie mal her", erklärte ich und nahm dem Mann die Dokumente ab. "Sehen sie: richtige Strasse, falscher Ort! - Das Moorbad hätte ins Kurbad nach Moos geliefert werden sollen, ich buchstabiere nochmal M-O-O-S!"
"Moos, hm?" - Verwirrt starrte er mich an. "Wie komme ich denn von hier nach Moos?"
"Woher soll ich das wissen", erklärte ich, und sah mich geistesabwesend um.
Die Leiter steckte mittlerweile quer in meinem Flur und Schlafzimmer. Einige verwirrte Herren im Blaumann zerrten mal hier, mal dort, nur um festzustellen, daß die Leiter sich nicht mehr vom Fleck zu rühren schien.
Ich ging zurück in die Küche.

Die Küche war dunkel und es zog. Offenbar hatte jemand die Fenster entfernt und Bretter vor das Loch in der Wand genagelt. Schöner Wohnen.
Der Klempner, der vorhin unter dem Küchentisch lag, stand plötzlich hinter mir.
"Ah! Da sind Sie ja wieder! - Es war beileibe nicht einfach, aber sehen Sie sich mal mein Meisterwerk an", strahlte er.
Er betätigte den Lichtschalter. Sofort sprangen einige farbig beschienene Fontänen an, und setzten meine Kücheunter Wasser. Dazu lief Händels Wassermusik. Ja, bin ich denn im Irrenhaus?Hat der ne Meise? Ich versuchte, mein Adrenalinspiegel zu unterdrücken, was glückerweise geschah.
"Die Kassette können sie natürlich austauschen!"
"Nicht schlecht", gab ich zu, und fing an, mich darüber Gedanken zu machen, in welchem Restaurant ich heute Abend essen würde. Immerhin könnte ich jetzt in der Küche meine Wäsche waschen.
Es klingelte an der Tür. Drei Herren mit weißen Kitteln, dicken Brillengläsern und nachlässiger Körperhygiene standen mit einigen Computern beladen vor der Tür.
"Wir sind hier, um die Leiter wieder loszubekommen",brüllten sie, Händel und Presslufthammer übertönend.Ich ließ sie herein. Ein paar Leute mehr oder weniger im Haus würden jetzt auch nichts mehr ausmachen. Hinter den Weißkitteln drängtes ich noch ein weiterer Mann mit einer Schubkarre herein.
"Und wo wollen Sie hin?", fragte ich.
"Ich bringe den Bauschutt!"
"Ach, ja?"
"Sie haben doch neue Fenster bestellt, oder?"
Zögernd nickte ich, wohl wissend, daßich sowieso bei dieser Diskussion wohl wieder den Kürzeren ziehen würde.
"Sehen Sie? - Und wer neue Fenster ordert, der bekommt eine Ladung Bauschutt gratis dazu! Toller Service, nicht wahr?"- sprach er, und drängte sich an mir vorbei. "Na toll", versuchte ich mit wenig Begeisterung ein Antwort zu finden.

Die Weißkittel hatten ihre Computer aufgebaut,und forderten mich auf, näher zu kommen.
"Sehen sie sich das mal an", erklärten sie, und deuteten strahlend auf einige Zahlenkolonnen, die über den Bildschirm ratterten. Na toll, für mich Laie ist das sehr "einfach".
"Die Leiter kann gar nicht mehr entfernt werden!- Sie steckt fest!"
Ich starrte verblüfft auf das verkanntete Holzgebilde - wenn ich nicht diese "Experten" da gehabt hätte, wäremir das wahrscheinlich nicht aufgefallen!
"Der einzige Weg, die Leiter wieder herauszubekommen, führt über den Keller. Wir haben den Sprengmeister schon bestellt!"Es war ja klar, daß ich fassungslos drein blickte.
Den Keller? - "Ich habe keinen Ke..."- Die Explosion war laut - sehr laut!

Schweißgebadet wachte ich auf. Mein Puls raste und mein Atem ging heftig. Ich sah mich um.
Puh! - Alles nur ein übler Traum!
Ich wickelte sich meine Bettdecke um und ging in die Küche um mir Frühstück zu machen. Es war ein wunderschöner Tag, die Sonne schien durch das Fenster, und schnell hatte ich den Traum verdrängt.
Gerade als ich fertig mit frühstücken war, klingelte es an der Tür.
Gut gelaunt öffnete ich.

"Fenster Knäbel, guten Morgen! Tut mir leid, daß wir uns etwas verspätet haben", erklärte einer der Handwerker. Er kniff mir in die Nase.
"Wissense, mein Freund, Sie sollten sich in dieser Jahreszeit dringend wärmer kleiden! - Außerdem weiß man ja auch nie, wer plötzlich im Zimmer steht, nich' wahr?"